25. Jahrgang | Nummer 8 | 11. April 2022

Anmerkungen zum Ukraine-Krieg

von Bernhard Romeike

Gerade kam per E-Mail eine Einladung zu einer Zoom-Konferenz. Darin hieß es: „Einladung an alle, die einen neuen Weltkrieg verhindern wollen. Die gegenwärtige Konfrontationsstimmung in Europa hat damit zu tun, dass in den letzten Monaten sichtbar wurde, dass sich die Welt verändert hat. Die westliche Vorstellung einer ‚regelbasierten Weltordnung‘ war in den vergangenen 70 Jahren geprägt von der veralteten Idee einer Post-Industriellen Welt, die, wie der Name schon sagt, auf industrielle Entwicklung verzichtet und sich stattdessen von einem allgegenwärtigen Finanzimperium dirigieren lässt. Noch im November letzten Jahres forderte das Davos-Forum vom Rest der Welt den Verzicht auf Entwicklung. […] Das ist gescheitert.“ Woher man meine Mail-Adresse hatte, konnte ich nicht erfahren. Absender ist ein sogenanntes Schiller-Institut. Das ist in den USA beheimatet, hat eine deutschsprachige Dependance und geht auf den Politiker und „Aktivisten“ Lyndon LaRouche zurück. Der starb hochbetagt 2019 und galt als rechts und als „Verschwörungstheoretiker“. Das ändert jedoch nichts daran, dass die oben zitierte Beschreibung eine präzise Einschätzung der Lage ist, in der wir uns derzeit befinden. Hinzu kommt: Wer will schon nicht dazu beitragen, einen neuen Weltkrieg zu verhindern?

Russland hat einen Aggressionskrieg gegen die Ukraine begonnen, der bereits innerhalb weniger Wochen große Opfer gekostet hat, an Menschenleben, materiellen Werten und in Gestalt von Millionen Flüchtlingen. Kanzler Olaf Scholz hat nun am 6. April 2022 verkündet: „Es muss unser Ziel sein, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt.“ Auch wenn heute „die Demokratie“ beschworen wird, es ist im Verlaufe der vergangenen fast 120 Jahre nunmehr der dritte deutsche Kanzler, der dies zum Ziel deutschen Vorgehens erklärt.

Die US-amerikanische Friedensbewegung bestätigt Scholz’ Anliegen auf ihre Weise. Bruce K. Gagnon, Koordinator eines „Global Networks“ gegen Waffen und Atomkraft im Weltraum, aus Brunswick in Maine schrieb dieser Tage: „Die NATO befindet sich de facto im Krieg mit Russland und benutzt die Ukraine als Werkzeug dafür.“ Und weiter: „Alles, was die NATO betrifft, ist Heuchelei. Sie erklären sich zur ‚Friedensallianz‘, aber ihre Geschichte ist nichts als Krieg. Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien und nun die Ukraine, sie alle offenbaren, dass die NATO in der Tat die Piraten-Macht ist, um die Globalisierung der Großkonzerne umzusetzen. Job der NATO ist es, die Unterordnung unter die Forderungen der westlichen Großfirmen zu erzwingen.“ Nun mag man einwenden, der Mann sei weit weg von der Kriegswirklichkeit in der Ukraine und den Gewaltakten der russischen Kriegsführung. Aber er ist nahe dran an der globalen Politik und Strategie der USA. Francis A. Boyle, Rechtsprofessor an der Universität von Illinois, machte (ebenfalls am 6. April) darauf aufmerksam, dass das Pentagon es „ausdrücklich und öffentlich zurückgewiesen hat, die Anklagen von Biden und Blinken über russische Kriegsverbrechen in Butscha zu unterstützen“. Joseph Gerson, Quäker und bekannter Friedensaktivist aus den USA, kommentierte dies mit den Worten: „wahrscheinlich, weil sie selber so viele verübt haben“.

Nun rechtfertigen die Kriege der USA in keiner Weise die Russlands, wie auch die US-amerikanischen Kriegsverbrechen russische nicht entschuldigen. Angesichts der aufgeheizten antirussischen Stimmungen in Deutschland ist die Kenntnisnahme der ganz anderen Perspektive der amerikanischen Friedensbewegung jedoch hilfreich. Der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte aus Anlass eines weiteren Treffens der Außenminister der NATO-Staaten (auch am 6. April), der Krieg in der Ukraine werde noch „viele Monate oder sogar Jahre“ dauern. Was scheinbar wie Besorgtheit klingt, ist in der Tat das Konzept, dass die USA und die NATO verfolgen: Russland zerstört seine militärischen und wirtschaftlichen Ressourcen in diesem selbstverschuldeten Krieg in der Ukraine, egal, ob es ihn am Ende „gewinnt“ oder nicht. Der Westen seinerseits ist fest entschlossen, bis zum letzten Ukrainer gegen die Russen zu kämpfen. Die Waffenlieferungen tragen aktiv dazu bei. Zugleich ist es für die ostmitteleuropäischen Länder, die früher im Warschauer Vertrag waren, eine günstige Gelegenheit, alte Panzer, die jetzt jahrzehntelang rumstanden, kostengünstig zu entsorgen.

An die geopolitischen Folgen des Ukraine-Krieges Russlands kann es derzeit nur Annäherungen geben. Eine bezieht sich auf die Resolution der UNO-Vollversammlung zur Verurteilung der russischen Invasion vom 2. März 2022. Dort stimmten 141 Staaten mit Ja, nur fünf, darunter Russland, mit Nein. Geflissentlich übersehen wird dabei, dass es 35 Enthaltungen gab, darunter China, Indien, Bangladesh und Pakistan, die zusammen etwa die Hälfte der Menschheit ausmachen. Michael von der Schulenburg, früher als Spitzendiplomat für die UNO und die OSZE tätig, machte darauf aufmerksam, dass die meisten kleinen und mittelgroßen Länder diese Resolution nicht unterstützt haben, weil sie die Position des Westens teilen, sondern weil sie die UNO-Charta und das Verbot aller Militäraktionen aus politischen Gründen stärken wollten, nachdem zuvor mit den USA, Großbritannien und Frankreich auch drei andere Ständige Mitglieder des Sicherheitsrates das Völkerrecht gebrochen und illegale Kriege geführt hatten. Auch an den Sanktionen gegen Russland beteiligen sich in Asien nur die üblichen Verbündeten des Westens Japan, Australien und Singapur, andere Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika nicht. Für die Welt des Südens ist dies wieder ein Krieg der weißen Männer im Norden, wie schon der erste und zweite Weltkrieg des 20. Jahrhunderts und der Kalte Krieg.

Unübersehbar werden die globalen Folgen des Krieges sein. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat kürzlich bekanntgegeben, dass es das 1,5-Grad Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung für nicht mehr umsetzbar hält. Es wird unwahrscheinlicher, dass wir „noch die Kurve kriegen“. Der Krieg bringt auch hier seine Absurditäten mit sich. Allein schon der Qualm und die Folgeemissionen durch die Kriegshandlungen, das Fahren tausender Panzer mit Dieseltreibstoff, das Ausbrennen von Panzern, das Geschützfeuer, die brennenden Häuser, die Explosionen der Bomben, der Qualm brennender Tanklager dürften bereits mehr Feinstaub in die Luft gebracht haben, als alle Schließungen von Holzöfen und Kaminen in Deutschland in 100 Jahren „einsparen“ können. Die zusätzlichen Rüstungsausgaben, die die NATO-Staaten jetzt als „Antwort“ auf Russland tätigen, für Panzerwaffen, Kampfflugzeuge, bewaffnete Drohnen und anderes werden ihrerseits dem ökologischen Umbau entzogen. Wenn jetzt nicht „kurz und schmerzlos“ Russland und die USA einen Atomkrieg gegeneinander führen, was die kurzfristige „Lösung“ des Menschheitsproblems wäre, werden wir uns auf eine anhaltende wirtschaftliche und politische Abstiegsgeschichte einstellen müssen.